Originaltext, Tuschemalerei und Photographie: Mariusz Szmerdt
Englische Übersetzung: Ponte Ryuurui (品天龍涙)
Deutsche Übersetzung (aus dem Englischen): Antje Goldflam

Die Kunst der Tuschemalerei (墨絵, すみえ, sumi-e), eine Kunstform heimisch in Kulturen des Fernen Ostens (hauptsächlich China und Japan), wird als ziemlich exotisch in meinem Heimatland Polen angesehen, insbesondere von Personen, die mit Kulturen Asiens nicht vertraut sind. Glücklicherweise ist die Natur der Kunst grenzenlos und das hat mir ermőglicht, mich tief in ihr verlockendes Reich zu wagen.

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Figure 1.
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Figure 2.

Figur 1

Figur 1. Drachen in der westlichen und őstlichen Mythologie sind grundverschieden. Asiatische Drachen sind machtvoll aber wohlwollend, weise und Glücksbringer. Meine Absicht bei diesem Bild war, einen Drachen in Wolken zu verbergen, um seine mythische Natur hervorzuheben. Ich wollte somit die Phantasie des Betrachters herausfordern. Dieses Bild ist die Darstellung eines Drachen, der in den Wolken versteckt aber bereit ist, sie zu zerfetzen, um in aller Glorie erscheinen zu kőnnen.

Figur 2 zeigt Detail aus Figur 1.


Copyright (c) 2012 Beyond Calligraphy & Mariusz Szmerdt. All rights reserved.

Meine Faszination mit Japan und seiner Kultur begann mit dem Kampfsport. Geist und Geisteshaltung, die für das Training im Kampfsport benőtigt werden, decken sich mit denen der Kunst des Tuschemalens und der Kalligraphie. Der Weg des Erlernens von Budou (武道, ぶどう, budō, i.e. “Kampfkunst”) fuehrte mich dazu, mit Begeisterung die Philosophie des Buddhismus und Zen anzunehmen. Diese wiederum führte zu meiner Entdeckung der Japanischen Tuschezeichung, welche mich faszinierte mit ihrer Tiefe and ihrer ästhetischen Sophistikation, ausgedrückt in der Schlichtheit der Form. Mein Herz ist fűr immer diesem Medium verschrieben und heutzutage ist mein Leben durch Tuschespuren definiert.

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Figure 3
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Figure 4

Figur 3. Nicht ganz zufrieden mit dem Resultat meines ersten Drachen-Bildes, versuchte ich es einige Tage später wieder. Die machtvolle Aura des zweiten Drachens erinnert uns an die Grenze zwischen unserer Welt und des Reiches der alten Mythen, erinnert uns daran, die unbekannten und ungezähmten Kräfte der Natur zu respektieren. Halb bedeckt in einem Wolkenschleier erscheint der Drache nur einigen Auserwählten, die unsere Welt auf einer anderen Ebene empfinden können.

Figur 4 zeigt Detail aus Figur 3.


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Ich wuchs unter Künstlern auf. Trotz ihres arbeitsreichen Lebens fand meine Mutter immer Zeit, ihre Staffelei und Pinsel hervorzuholen und zu malen. Angelockt durch meinen künstlerischen Instinkt, meine Aufmerksamkeit magnetisch angezogen, bot ich meine eigene Seele der Welt der Farben und des Lichtes an. Nach vieler Jahre Studium verschiedener Maltechniken, beginnend mit Öl, Aquarell, bis zu Kohle- und Bleistiftzeichnung und sogar Glasmalerei, machte ich den ersten Kontakt mit Tusche/Tinte durch die Kunst der Tätowierung, die ich beruflich in meinem Studio ueber 13 Jahre ausführte. Als ich jedoch die Kunst der Ostasiatischen Tuschemalerei entdeckte, war mir sofort klar, dass ich hiermit gefunden hatte , was ich unbewusst gesuchte hatte, etwas was mir erlaubte mich künstlerisch ohne Einschränkung oder Zwang auszudrücken. Wenn ich mit Tusche male, habe ich das Gefühl, als ob meine Kunst perfekt aufeinander eingestimmt ist mit Verstand und Seele.

Die ätherische Natur und atemberaubend schöne Schlichtheit der Kunst des Tuschezeichnens sowohl als auch seine mächtige Spiritualität überzeugten mich, dass dies der Weg war, den ich verfolgen wollte. Es is nicht nur eine Kunstform, die mein artistisches Potential vollends ausschöpft; sie ist ebenfalls sehr eng verbunden mit der Philosophie des Buddhismus, die immer noch präsent und sehr wichtig in meinem Leben ist.

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Figure 5.
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Figure 6.

Figur 5. Meditieren vor dem Wasserfall. Während meiner Studien des Buddhismus lernte ich, dass man für das Meditieren durchaus nicht unbedingt Einsamkeit suchen muss. Ablenkung durch die Umgebung mag sogar hilfreich sein, den Zustand der Loslősung oder geistiger Konzentration zu erreichen. Im obigen Bild ist die ruhende Figur des Mönches auf den Felsen trotz seiner Zerbrechlichkeit und insignifikanten Grösse dem massiven Wasserfall und seiner gewaltigen Macht zugewandt. Das schnellfliessende Wasser ist eine Allegorie für die modern Welt und seiner unaufhaltbaren Hektik. Meine Absicht hier ist zu zeigen, dass ein wahrer Meister seines Selbst überall und jederzeit meditieren kann, unabhängig von den Umständen.

Figur 6 zeigt Detail aus Figur 5.


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Tuschemalerei ist die Essenz des Universums, frei von unnötigen Pinselstrichen oder Korrekturen, die den Energiefluss zerstören (行気, ぎょうき, gyōki).

Ähnlich einer magischen Form der Malerei führt sie den Betrachter in eine total neue Welt von unwirklichen und symbolischen Träumen, die die Phantasie stimuliert.

Der Ziel der Tuschemalerei ist, die empfindliche Natur und die Vergänglichkeit des Morgentaus auf dem Gras im Frühling zu spüren, die Kälte des Schnees und die Wärme der reflektierenden Sonnenstrahlen zu fühlen, das Vogelgezwitscher in der kristallklaren Luft eines Wintertages zu hören oder die präzise Dynamik der Bewegung eines Kriegers und die Macht, die diese definieren, zu verstehen. All dies sind Essenzen der Tuschemalerei.

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Figure 7.
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Figure 8

Figur 7. Kirschbluetenzweig im Mondlicht. Mein Versuch die verletzliche und mystische Aura der Natur zu darzustellen. Die Blütenblätter der Kirschblüten zittern in einer sanften Abendbriese und erinnern uns and die Vergänglichkeit aller Dinge.

Figur 8 zeigt Detail aus Figur 7.

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Ich hatte nie einen wahren Meister, der mich durch den Irrgarten der verschieden Stile und Schulen der Tuschemalerei geführt hat. Leider ist es sehr unwahrscheinlich, dass ich einen solchen hier in Polen finden werde. Meine Bilder sind definiert durch meine persönlichen Ansichten und Grundsätze und spiegeln einen individuellen und ursprünglichen Zugang zu dieser Kunstform. Wenn meine Kunst dem Betrachter erlaubt, sich von seiner Umgebung loszulősen, auch wenn es nur für einen Bruchteil einer Sekunde ist, und er sich auf dem Fluss seiner erbaulichen Energie treiben lassen kann, dann fühle ich mich als Künstler dankbar und gesegnet.

Der reine Zweck der Kunst ist, versteckte Gefühle hervorzurufen, zu bewegen and berühren und Menschen zusammenzubringen durch unbeeinträchtigte Emotionen. Tuschemalerei ist ein wundervolles Medium und wie Musik, lässt sie uns unsere weltlichen Gegensätze, Klischeevorstellungen, Sprachbarrieren, Religionen und alle jene sozialen Bindungen, die uns voneinander trennen wie ein unermesslich tiefer Abgrund, vergessen.

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Figure 9
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Figure 10.

Figur 9. Das Pferd hat eine symbolische Bedeutung in der polnischen Kultur, besonders in der Geschichte des Militärs. Viele grosse Siege wurden durch die Kavallerie gewonnen. Zum Beispiel in der Schlacht zu Kircholm (1605 A.D.) waren die polnischen Husaren (schwere Kavallerie) siegreich gegen eine dreimal stärkere schwedische Armee. Weit ueber 200 Jahre waren die Husaren gefürchtet und als die mächtigste militärische Formation gepriesen. Zum letzten Mal in der Geschichte zogen polnische Ulanen (leichte Kavallerie) 1939 ihre Säbel gegen die deutschen Invasoren. Die Tuschezeichnung des Pferdes ist nicht nur eine Ehrung der Tapferkeit dieser Männer, sondern insbesondere eine Ehrung dieser grossartigen Kreatur.

Figur 10 zeigt Detail aus Figur 9.

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Ich vergleiche Tuschemalerei gerne zu alpinem Klettern, welche auch eine meiner Leidenschaften ist. Beide basieren auf Schritten, die man nicht korrigieren kann, da sie keinen Raum fuer Fehler erlauben. Beide sind Arten von Meditation. Tuschemalerei ist die Welt von Punkten, Spritzern, Verwaschungen und auch Farben auf einem weissen Hintergrund und kreiert auf dieses Weise eine Brücke, die unseren Gedanken ermőglichen, die andere Seite der menschlichen Wahrnehmung zu erreichen.

Wenn Kõrper und Geist eins sind, spiegelt jeder Schritt den Zustand der Kűnstlerseele wieder. Beide erfordern einen ruhigen Geist und eine friedliche Atmosphaere, Selbstkontrolle, aber gleichzeitig ungezähmte Ausdruckskraft und tatkräftige Bewegung. Alle diese Geisteszustände existieren harmonisch nebeneinander und sind sowohl beim Malen als auch an der Kletterwand vorhanden.
Um sie zu entdecken, muss man ein Bild oder einen Berg eingehend betrachten und alle Elemente des Zusammenspiels von Geist/Kőrper und dem Objekt verstehen.

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Figure 11.
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Figure 12.

Figur 11. Das Bild zeigt eine Gruppe Spatzen, sich kurz ausruhend, schwingend auf dem langen Gras, während sich Blätter im Winde wiegen. Um die Kűrze der Szene zu betonen, benutzte ich eine sehr einfache Technik von schnellen und dynamischen Pinselstrichen und unregelmässigen Punkten.

Figur 12 zeigt Detail aus Figur 11.

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Tuschemalerei ist ein Lebensweg. Man arbeitet kontinuierlich daran, sein inneres Selbst, neue Möglichkeiten und unentdeckte Talente zu entwickeln. Es ist ein Pfad ohne Ende, völlig einnehmend und nie endend.

Ueber mich: Mariusz Szmerdt
Kontakt: E-email

Geboren in Polen 1973. Mitglied der “International Chinese Calligraphy & Ink Painting Art Society” (ICCPS), Tokyo, Japan. Bergsteiger, Kunstmaler (der versucht die Kunst des Tuschemalens in Polen populär zu machen), Amateurphotograph, der Aktivitäten in der Natuer geniesst. Liebt weites Land und Natur. Buddhist, der versucht, so weit wie menschlich möglich von Politik und formalen Anzügen Abstand zu halten. Ehemaliger Kampfsportler (Aikido und Karate). Verehrer weisser Waffen mit besonderer Schwäche für japanische Schwerter. Liebt Geschichte, Antiquitäten, alte Schlösser und Haiku, fühlt allerdings, dass Gedichtschreibung nicht seine Stärke ist. Ewig auf der Wanderschaft, ist sein Lieblingsspruch: “Jedem sein eigener Everest”. Kontinuierlich auf der Suche nach einem Meister, der ihn auf dem Pfad der Tuschemalerei leiten kann. Inspiriert durch seine Frau, seinem Sohn und die Wunder von Mutter Erde.